Donnerstag, 11. November 2010

Carlos

Olivier Assayas' "Carlos" erzählt die Geschichte des gleichnamigen Terroristen, auch bekannt als "Der Schakal". Über zwei Jahrzehnte hinweg war Carlos anti-islamistischer Kämpfer, zunächst als Söldner der PLO, dann als Gründer der "Organization of the Armed Arab Struggle-Arm of the Arab Revolution" (OAAS). Am berüchtigsten ist der Schakal (bürgerlich: Ilich Ramirez Sànchez) für den Anschlag auf die OPEC-Konferenz 1975 in Wien, bei dem drei Menschen erschossen und siebzig weitere als Geiseln genommen wurden. Mit einer Laufzeit von fünfeinhalb Stunden (bzw. 186 Minuten in der "Kurzversion") darf man "Carlos" getrost als Epos bezeichnen.



"Carlos" ist zunächst einmal eine logistische Meisterleistung. In nur 92 Drehtagen filmte Assayas an Originalschauplätzen in u.a. Libyen, Frankreich, Deutschland, Ungarn und auch Österreich. Gerade die OPEC-Sequenzen im Wien der 70er Jahre sind beeindruckend authentisch (wenn auch ein wenig irritiert, dass der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky vom deutschen Udo Samel gespielt wird).

Doch nicht nur in handwerklicher Hinsicht ist der Film beeindruckend: Selbst in der fünfeinhalbstündigen Version hat "Carlos" kaum Längen - im Gegenteil, die ausladende Spielzeit erlaubt Assayas, die Motivationen der Charaktere und die geschichtlichen Hintergründe genau zu erklären. Im Gegensatz zum oberflächlich lärmenden "Baader Meinhoff Komplex" gelingt es dem Film somit, den Zuschauer emotional ins Geschehen zu involvieren.

Ohne Makel ist Assayas' Epos dennoch nicht. Zwar spielt das gesamte Ensemble großartig - allen voran der Hauptdarsteller Édgar Ramírez, der so leichtfüßig mit unterschiedlichen Sprachen jongliert, wie zuletzt Christoph Waltz in "Inglourious Basterds" -, doch tappt "Carlos" in dieselbe Falle, wie fast jedes Terroristen/Gangster-Biopic der letzten Jahre: Es glorifiziert, wenngleich unbeabsichtigt, seine Hauptfigur. Carlos ist ein Rockstar, ein Macher, ein Typ, der seinen Willen durchsetzt und nebenbei mit vielen schönen Frauen schläft. Und so viel Zeit wir in diesem Film mit ihm verbringen, so eindimensional bleibt die Figur doch. Abgesehen von seltsam eitlen Anwandlungen und gelegentlichen Wutausbrüchen bleibt Carlos stets charmant und behält fast schon übermenschliche Contenance.

Nach der Vorstellung erklärt Olivier Assayas, er habe keinen politischen Film machen wollen, sondern einen Film über politische Ereignisse. "Carlos" sei nicht nur das Porträt eines einzelnen Terroristen, sondern stelle die gesamte Geschichte des Terrorismus über vier Jahrzehnte dar.


Die anwesenden Schauspielerinnen und Schauspieler schwärmen von Assayas laissez-faire-Stil beim Dreh. Der Regisseur habe nur wenige Anweisungen gegeben und seinen DarstellerInnen voll und ganz vertraut. Reizend ist Nora von Waldstätten, die im Film Magdalena Kopp spielt, Carlos' Komplizin und Geliebte. Als sie vor dem Publikum spricht, ist sie aufgeregt,  weil sie den Film in ihrer Heimatstadt präsentieren darf, in Anwesenheit ihrer Familie und ihrer Freunde. Später bekomme ich mit, wie von Waldstätten ihren Vater und Assayas miteinander bekannt macht. Es ist ein bemerkenswert alltäglicher Moment, der mir ein triviale Wahrheit vor Augen führt, nämlich dass die schönen Menschen dort oben auf der Leinwand doch auch Menschen sind, wie du und ich.

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