Sonntag, 7. November 2010

Ohne Umwege zur Wahrheit

Zwei Filme über die Liebe zählen für mich zu den Highlights der diesjährigen Viennale. Derek Cianfrances "Blue Valentine" und "Another Year" von Mike Leigh.

"Another Year" ähnelt einem Theaterstück in vier Akten: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Durch diese Jahreszeiten begleiten wir Tom und Gerri, ein seit vielen Jahren glücklich verheiratetes Ehepaar. In ihrer Freizeit werken die beiden in ihrem Schrebergarten und laden Freunde zum Abendessen ein. Nicht alle Menschen in ihrem Umfeld sind so glücklich wie Tom und Gerri: Mary (umwerfend gespielt von Lesley Manville) hadert nach einer gescheiterten Ehe und einer unglücklichen Affäre mit dem Alleinsein. Oft sucht sie Trost bei Gerri, die sich ihre Sorgen anhört, mit der Zeit aber auch überfordert wird von der ewigen Jammerei ihrer Freundin. Zumal sich Mary ein wenig in Gerris Sohn Joe verschaut hat und gar nicht freundlich reagiert, als der eines Tages mit einer neuen Freundin nach Hause kommt. Dann ist da noch Ken, ein alter Jugendfreund, der sich weigert in Pension zu gehen, weil es außer der Arbeit nichts in seinem Leben gibt, wofür es sich aufzustehen lohnt. Zu guter Letzt lernen wir noch Toms Bruder Ronnie kennen, einen in sich selbst zurückgezogenen Mann, der nach dem Tod seiner Frau nur noch einen entfremdeten Sohn hat, und in einer kahlen, trostlosen Wohnung dahinvegetiert.



"Another Year" ist die Art Film, die Woody Allen machen würde, wenn er seinen Fatalismus ablegen könnte. Wir sehen alltägliche Menschen, die alltägliche Dinge tun. Sie sind schwach, unsicher, aber auch gütig und liebevoll. Mike Leigh behandelt seine Figuren mit Respekt, auch die schwierigen, und obwohl es in "Another Year" zu einem großen Teil um verzweifelte Menschen geht, die beinahe jegliche Hoffnung auf Glück verloren haben, ist es ein lebensbejahender, philanthroper Film.

In der Q+A-Session nach der Vorführung des Films, sagt Mike Leigh einen schönen Satz. Gefragt nach seiner Einstellung zum aktuellen 3D-Trend im Kino, antwortet der Regisseur: "If you thought this film was two dimensional, then I did a very bad job." Leigh kann beruhigt sein:"Another Year" hat mehr Tiefe als James Cameron mit allen Multimillionen-Dollar-Kameras der Welt jemals einfangen könnte.

"Blue Valentine" erzählt die Geschichte von Dean (Ryan Gosling) und Cindy (Michelle Williams). Die beiden sind sind schon seit einiger Zeit verheiratet und haben eine junge Tochter. Dean geht in der Rolle des Ehemanns und Vaters auf, doch etwas stimmt in der Beziehung nicht. Als das Ehepaar ein romantisches Wochenende in einem Hotel verbringen will, laufen die Dinge aus dem Ruder.



Auch "Blue Valentine" ohne Umwege zur Wahrheit, ist dabei allerdings brutaler als "Another Year". Und wieder denkt man an Woody Allen, dessen "Husbands & Wives" auf ähnlich desperate Weise von den Abgründen der Liebe erzählt. Konventionell, aber wirkungsvoll stellt Regisseur Derek Cianfrance glücklichere Tage des Ehepaars in Rückblenden der problematischen Gegenwart gegenüber. Bilder von der ersten Verliebtheit, die bei Cindy vielleicht nie so stark war, wie bei dem unbedarften, offenherzigen Dean, konterkarieren das graue Jetzt. Oft fällt es schwer, zuzusehen, wie die Bedürfnisse der beiden Protagonisten sich in entgegengesetzte Richtungen entwickeln. "Blue Valentine" ist kein angenehmer Film - aber die Wahrheit ist selten angenehm. Ein großer Film, der Ryan Gosling und Michelle Williams hoffentlich Oscar-Nominierungen einbringen wird.

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