Freitag, 22. Oktober 2010

Viennale-Fan der ersten Stunde

Seit seiner Teenagerzeit ist Robert Röschel, pensionierter Beamter der Stadt Wien, ein Filmenthusiast. In einem Gespräch hat mir der heute 70-Jährige von seiner andauernden Liebe zum Kino und seiner Begeisterung für die Viennale erzählt, die er nun schon seit über 40 Jahren regelmäßig besucht.

Robert Röschel (70) hat seit 1968 keine Ausgabe der Viennale verpasst.



Herr Röschel, Sie waren 1968 zum ersten Mal bei der Viennale und haben seither keine Ausgabe des Festivals ausgelassen.

Ja. Am Anfang war es ja noch das "Festival der Heiterkeit" in der Urania – da war ich noch nicht. Zu der Zeit hab ich mir nur einzelne Filme, die beim Festival gezeigt wurden, normal im Kino angesehen, etliche davon im Filmmuseum. Als die Viennale ‘68 unter dem Titel "Filme, die uns nie erreichten" angelaufen ist, hab ich begonnen hinzugehen. Ich hab mir ein Programm zugelegt und einiges entdeckt, was mich sehr interessiert hat. Seitdem geh ich regelmäßig zur Viennale.


Wie ging das damals zeitlich, als sie noch berufstätig waren?

Ich hab mir immer frei genommen. Manchmal eine Woche, manchmal sogar zwei. Für mich war das immer wie Urlaub.


Wann haben Sie Ihre Leidenschaft für Film entwickelt?

Schon lange vor der ersten Viennale. Da war ich 15, 16 Jahre alt. Eigentlich hat für mich alles mit der Nouvelle Vague in Frankreich begonnen. Ich kann mich erinnern, der erste Film, der mich so richtig begeistert hat war „Hiroshima mon amour“. Davor bin ich auch schon ins Kino gegangen, aber hauptsächlich in deutsche Schlagerfilme und Literaturverfilmungen, mit denen ich mir die Leseliste für die Deutschmatura aufgebessert hab. Dokumentarfilme habe ich auch schon sehr früh geliebt, mehr fast noch als Spielfilme.


Was hat Sie an „Hiroshima mon amour“ so fasziniert?

Das war der erste Film der Nouvelle Vague, der zu uns kam, und er war ganz anders als alles, was ich bis dahin gesehen hatte. Da ist mir erst richtig aufgegangen, was man alles mit dem Medium Film machen kann. Der Regisseur Alain Resnais bzw. Marguerite Duras, die das Drehbuch geschrieben hat, haben nicht in der üblichen Form Schauspieler auftreten lassen, die reden und die Handlung weiterbringen. Der Film war wie ein literarischer Text, der mit Bildern dargestellt wurde, die oft gar nicht unmittelbar damit zusammenhingen. Dass das völlig frei behandelt wurde, der Text und die Bilder dazu, und welche Kombinationen man damit machen konnte, das hat mich beeindruckt. Noch interessanter und experimenteller war es dann beim nächsten Film von Resnais, "Letztes Jahr im Marienbad". Nach nur einem Mal Sehen kann man den gar nicht verstehen.


Wie haben Sie damals von Filmen erfahren, die Sie interessieren könnten?

Ich hab mir regelmäßig die Sendung "Pro & Kontra" im Radio angehört. Die lief immer am Samstag um 2 Uhr. Da bin ich mit der ganzen Familie vorm Radio gesessen, und wir haben uns Filme ausgesucht, die uns interessiert haben. Meistens wars dann aber so, dass ich ins Kino gegangen bin, mir die Filme angeschaut hab, und dann, wenn sie mir gefallen haben, und ich mir gedacht hab, das ist auch für die anderen geeignet, hab ichs mir nochmal mit der Familie angeschaut.


War die ganze Familie so filmbegeistert, wie Sie?

Ich hab die andern einfach mitgerissen. Die waren zuerst gar nicht so filmbegeistert. Meine Eltern haben Hans Moser und die deutsch/österreichischen Filme geliebt, die damals hauptsächlich gelaufen sind. Ich hab sie dann irgendwie dazu gebracht, dass sie sich auch andere Sachen anschauen.


Wie informieren Sie sich heute über Filme?

Über Tageszeitungen und Filmzeitschriften, wie Celluloid und Ray. Bei der Viennale besorge ich mir einfach jedes Jahr das Programm. Besonders interessieren mich immer die Filme, die schon in Cannes, Venedig und Berlin gelaufen sind. Wenn die es auch zur Viennale schaffen, bin ich dort. Jetzt schaff ich es leider nicht mehr zu allen, weil es mittlerweile einfach zu viele sind.


Wie hat sich die Viennale seit 1968 verändert?

Früher haben amerikanische und europäische Filme im Programm überwogen. Jetzt hat sich der Horizont sehr geweitert. Es sind viele Länder dazugekommen, dadurch ist der Anteil der europäischen Filme ein bissl geschrumpft. Natürlich sind auch die Regisseure heute andere. Die alten sind gestorben, jetzt gibt es eine neue Generation. Viele meiner Freunde, mit denen ich früher oft zur Viennale gegangen bin, gehen heute nicht mehr hin, weil sie die neue Art, Filme zu machen, nicht mögen, während ich mich umstellen konnte. Es gibt etliche neue Filme, die mir genauso gefallen, wie die der großen frühen Regisseure. 
            

Wo sehen sie denn die Unterschiede zwischen dem Kino damals und heute?

Kino ist immer ein Spiegel der Zeit, und die ist hektischer geworden. (Überlegt.) Das könnten meine Freunde wahrscheinlich besser erklären.


Sind die Filme heute expliziter als damals, was die Darstellung von Sex und Gewalt angeht?

Ja, und das stört meine Freunde. Ein bissl stört's mich ja auch, aber ich hab mich daran gewöhnt. Außerdem war ich anfangs sehr dafür, weil die Heuchelei der Fünfziger ist mir eh schwer auf den Wecker gegangen. (Lacht.) Es war schon gut, dass sich da plötzlich einiges geändert hat, und dass man Dinge angesprochen hat, die man vorher nicht aussprechen konnte oder durfte. Nur dass die sexuelle Revolution dann in eine ordinäre Welle ausgeartet ist, das hab ich dann nicht mehr so begrüßt. Andererseits freut es mich, dass ich vieles durch den Film kennenlerne. Dafür werde ich von meinen Freunden oft ausgelacht. Es gibt fast kein Thema, über das ich nicht irgendeinen Film gesehen hab.


Haben Sie einen Lieblingsfilm?

Ich habe einen Lieblingsregisseur: den Ingmar Bergman. Der hat irgendwie meine Sprache gesprochen. Ich mag gern philosophische Filme, Parabeln. Wie von Bergmann oder Tarkovsky. Von den jetzigen Regisseuren hab ich Zhang Yimou und Lars von Trier sehr gern.


Lars von Trier?

Ja. (Lacht.) Ich bin nicht leicht zu schockieren. Ich vertrag manches. Den "Antichrist" hab ich auch vertragen. Den hab ich mir zwei Mal angeschaut. Beim zweiten Mal bemerkt man vieles, was beim ersten Mal untergeht. Da denkt man zu sehr ans nächste Bild, während man beim zweiten Durchgang auf die Szene selber achten kann. Viele Filme gefallen mir beim zweiten Mal besser als beim ersten Mal. Bei manchen ist es aber auch umgekehrt.


Haben Sie nie mit dem Gedanken gespielt, sich beruflich mit Film auseinander zu setzen, als Kritiker, zum Beispiel?

Nach der Matura wollte mein Deutschprofessor unbedingt, dass ich Germanistik und Philosophie studiere. Meine Eltern waren aber total dagegen und wollten, dass ich ein Jusstudium beginne. Damit konnte man mehr werden. Mit Philosophie und Germanistik konnte man nur Lehrer werden, und das wollt ich auch nicht. Das Überlegen hat sich dann aber eh erledigt, weil mein Vater bald darauf krank geworden und gestorben ist, und ich Geld verdienen musste. Und so bin ich zur Gemeinde Wien gekommen. Der Vorteil dabei war, dass ich in Wien bei meinem Vater bleiben und ihm helfen konnte, so lange er noch gelebt hat. Nebenbei studieren, das war für mich zu viel.


Aber ihre Leidenschaft für Filme haben Sie sich im Privaten erhalten?

Ja, ich hab immer für mich privat über Filme geschrieben. Eines Tages kam ein Freund zu mir und hat gemeint, ich soll das unbedingt einschicken. Also hab ich meine Ergüsse an die Sendung "Pro & Kontra" geschickt. Ich bin dann wirklich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden, und die haben gemeint, ich könnte bei ihnen mitarbeiten. Leider ist es aber wegen meiner Arbeit bei der Gemeinde nicht gegangen, dass ich Pressevorführungen von Filmen und dergleichen besuche. Ich hab mir dann überlegt: Bei der Gemeinde hab ich einen sicheren Posten, den geb ich nicht auf. Und die Sendung gibt's ja jetzt wirklich nicht mehr. Da hätte ich mit 50 noch einen Berufswechsel machen müssen. Da bin ich ganz froh, dass ich mir das nicht angetan hab. Aber ich wurde vermittelt an die damalige Aktion "Der gute Film", und für die habe ich dann als zeitweiliger Mitarbeiter sieben Jahre lang Filmbesprechungsgrundlagen geschrieben. Aber irgendwann hat mir das auch nicht mehr behagt, und ich hab es sein lassen...


Zu viel Arbeit?

Nein, eher zu wenig! Ich war es gewöhnt, über schwierige Filme zu schreiben und habe oft zwölfseitige Besprechungsgrundlagen verfasst – mit ausführlichen Biografien über die Regisseure usw. Aber plötzlich hat es geheißen, meine Texte dürfen nur noch vier Seiten lang sein, und das hat mich dann nimmer gefreut.


Zurück zur Viennale: Worauf freuen sie sich heuer besonders?

Ich bin sehr gespannt auf den Film von Apichatpong Weerasethakul (Loong Boonmee raleuk chat“ – Anm.). Auch auf den Godard-Film (Film socialisme“ – Anm.) bin ich sehr neugierig. Den werd ich beim ersten Mal bestimmt nicht verstehen, aber das bin ich von Godard gewohnt. Ich hoffe, dass der Film auch regulär ins Kino kommt. Dann sehe ich ihn mir noch einmal an.
  

Haben Sie eigentlich einen Videorekorder oder einen DVD-Player zu Hause?

Mittlerweile hab ich beides, aber lange hatte ich weder das eine noch das andere. Da konnte ich mir alle Filme nur im Kino anschauen und hab mir nichts sehnlicher gewünscht als ein eigenes Kino. Dieser Traum hat sich mittlerweile für mich erfüllt. (Lacht.)

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